Wozu ist die Kandarenzäumung gut?

In der Vergangenheit war das Kandarengebiss das Standardgebiss für Reitpferde, insbesondere beim Militär und in der hohen Schule. Trensen wurden höchstens in den frühen Ausbildungsstadien verwendet. Für die gründliche Durchgymnastizierung wurde der Kappzaum zusammen mit der Kandare verwendet und das Ausbildungsziel bestand darin, das Pferd einhändig auf blanker Kandare führen zu können. Wenn in der alten Literatur von einem gezäumten Pferd die Rede ist, dann war damit immer der Kandarenzaum gemeint. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Kappzaum nach und nach durch die Unterlegtrense ersetzt und unsere heute gebräuchliche Zäumung entstand. Noch im 19. Jahrhundert wurden die Zügel der Unterlegtrense als Hilfszügel bezeichnet, während die Kandarenzügel die eigentlichen Zügel waren.

Heutzutage lehnen viele Reiter die Kandare ab, weil sie sie für ein Zwangsmittel halten, das heute nicht mehr zeitgemäß ist und das überflüssig ist für feines Reiten. Diese negative Einstellung basiert vermutlich darauf, dass sie viele Beispiele für eine gewalttätige Anwendung gesehen, aber nie gelernt haben, wie die beiden Gebisse richtig - “schulgerecht”, wie es früher hieß - eingesetzt werden können. Das liegt daran, dass heute Schüler und Pferde kaum noch systematisch in die Kandarenarbeit eingeführt werden. Dadurch haben sie auch nie persönlich erfahren, welche Verfeinerung der Hilfengebung und welche Differenziertheit und Nuanciertheit im Dialog mit dem Pferd durch die Kombination von Unterlegtrense und Kandare oder Kappzaum und Kandare möglich ist.

Kandare und Unterlegtrense (oder Kandare und Kappzaum) erlauben der Reiterin, einen wesentlich differenzierteren Dialog mit dem Pferd zu führen. Die beiden Gebisse sind unterschiedlich konstruiert und haben daher eine unterschiedliche Wirkung: die Trense eignet sich besser zum aufrichten und seitlichen biegen, während die Kandare eher eine hankenbeugende und beizäumende Wirkung besitzt. Das bedeutet im Umkehrschluss natürlich auch, dass man die Zügel nicht so halten und einsetzen darf, als wären die Gebisse identisch konstruiert.

Vergleicht man die Kommunikation der Hilfengebung mit einer Sprache, könnte man sagen, dass sich durch die Kombination von Kandare und Unterlegtrense, bzw. Kandare und Kappzaum das Vokabular deutlich vergrößert, sodass sich Pferd und Reiterin wesentlich detaillierter ausdrücken und über komplexere Themen unterhalten können.

Die Zügel übermitteln nämlich nicht nur Anweisungen an das Pferd, sondern sie empfangen vor allem auch Informationen vom Pferd. Ein intensiverer Informationsaustausch ermöglicht präziseres Arbeiten. So kann man durch die vier Zügel (zusätzlich zum Sitz und den Beinen) Muskelverspannungen und hypermobile Stellen (die sogenannten falschen Knicks) im ganzen Pferdekörper spüren, da sie sich negativ auf den Energiefluß (die Durchlässigkeit), die Anlehnung, sowie die gesamte Skala der Ausbildung auswirken. Beseitigt man Verspannungen und falsche Knicks, fließt die Energie ungehindert durch den Pferdekörper und alle Elemente der Skala der Ausbildung verbessern sich.

Die Kandarenzäumung ermöglicht es, die Pferdeschultern präziser einzurahmen wodurch sich die Geraderichtung verbessert. Verhindert man ein seitliches Ausweichen der Pferdehüften und -schultern können die Hilfen jeden Winkel des Pferdekörpers erreichen, während jedes seitliche Ausweichen dem Pferd gestattet, bestimmte Muskelblockaden vor der Reiterin zu verstecken. Damit ist man in der Lage viele Details wahrzunehmen, die einem bei Zäumung auf Trense unter Umständen entgangen wären. Die Kandarenzäumung ist vergleichbar mit einer Lupe, die eine viel detailliertere Betrachtung eines Gegenstandes möglich macht als das bloße Auge.