Einleitung
Man kann gymnastische Übungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Man kann sie beispielsweise kategorisieren als Übungen, die die #Schultern-wenden, #Wirbelsäule-mobilisieren, #Brustkorb-mobilisieren, #Hüften-mobilisieren, #Hinterbeine-kräftigen, #geraderichtend, #Körpergefühl-verbessern, #verbindend, usw. Oder man kann sie einordnen als #äußeres-Hinterbein oder #inneres-Hinterbein, oder als #äußere-Hilfen oder #innere-Hilfen Übungen, je nachdem, welche Hilfen man vorwiegend einsetzt oder welches Hinterbein man anzielt.
Es ist wichtig, dass man im Gedächtnis behält, dass diese Kategorien weder absolut sind noch sich gegenseitig ausschließen. Eine Übung kann durchaus mehr als einen gymnastischen Zweck erfüllen. Die Einordnung der Übungen nach ihrer gymnastischen Wirkung kann uns jedoch helfen, ein Problem besser zu verstehen oder eine Übung speziell für ein bestimmtes Problem zu entwerfen.
Da Übungen gleichzeitig mehrere verschiedene Eigenschaften besitzen, können sie auch gleichzeitig in mehrere Kategorien eingeordnet werden. Es kommt immer darauf an, auf welchen Aspekt man sich momentan konzentrieren möchte.
Und nur weil eine Übung beispielsweise die äußeren Hilfen besonders ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, bedeutet das nicht, dass man nicht manchmal auch die inneren Hilfen benützen muss.
Beispiele
Ein Beispiel für eine #innere-Hilfen Übung könnte der 1. Test des inneren Hinterbeins sein: Zirkel Vergrößern.
Ein Beispiel für eine #äußere-Hilfen Übung könnte sein: KSH > Volte > Viereck verkleinern Typische Beispiele für #innere-Hilfen Übungen sind: Zirkel vergrößern > Tritte verlängern oder Schulterherein > Kurzkehrtwendung
Eine gute #äußere-Hinterbein Übung ist: KSH > einfacher Hufschlag > durchparieren ins äußere Hinterbein.
Do-It-Yourself
Diese Denkweise kann dabei helfen, eigene gymnastische Übungen zu entwerfen, die dem Pferd bestimmte Fertigkeiten vermitteln, oder die die Aufmerksamkeit des Pferdes auf eine bestimmte Schenkel- oder Zügelhilfe lenken, oder die ein bestimmtes Hinterbein oder eine bestimmte Körperseite des Pferdes ansprechen, oder die bestimmte Körperteile mobilisieren oder kräftigen. Die kreativen Möglichkeiten sind endlos. Man beginnt den Design Prozess dabei, indem man vom Ende her denkt und sich überlegt, worauf man sich konzentrieren will. Dann erstellt man in Gedanken eine Liste von Elementen, die in die entsprechende Kategorie gehören und wählt diejenigen aus, die am geeignetsten erscheinen.
Auf das Gegenteil konzentrieren
Wir können noch einen Schritt weiter gehen. Die meisten Reiter konzentrieren sich in Seitengängen ausschließlich auf die Seitwärtsbewegung. Sie treiben im Schulterherein nur mit dem inneren Schenkel und im Kruppeherein und in Traversalen nur mit dem äußeren. In Pirouetten und Wendungen benützen sie nur die äußeren Hilfen.
Konzentriert man sich jedoch in Seitengängen zu sehr auf die Seitwärtsbewegung, kann es leicht dazu führen, dass die Reiterin die Hilfen auf der anderen Körperseite vernachlässigt, nämlich die Hilfen, die die Vorwärtsbewegung unterstützen. Das Pferd sollte jedoch in sämtlichen Seitengängen SOWOHL vorwärts ALS AUCH seitwärts gehen, nicht nur seitwärts. In Hinterhandwendungen und Pirouetten muss das innere Hinterbein in jedem Schritt bzw. Sprung abfußen und unter die Last treten.
Die Qualität der Seitengänge hängt ganz allgemein sehr stark von der Qualität der Vorwärtsbewegung ab.
So hängt beispielsweise die Qualität des Schulterherein und Konterschulterherein davon ab, wie gut das äußere Hinterbein untertritt und sich unter dem gemeinsamen Gewicht von Pferd und Reiter beugt.
Die Qualität des Kruppeherein, Renvers und der Traversale hängt davon ab, wie gut das innere Hinterbein untertritt und sich unter dem gemeinsamen Gewicht von Pferd und Reiter beugt.
In Hinterhandwendungen, Passaden und Pirouetten muss das Pferd gleichzeitig seine Schultern wenden UND vorwärts streben. Die Qualität der Pirouette hängt genau wie in der Traversale stark davon ab, wie gut das innere Hinterbein untertritt und sich unter dem gemeinsamen Gewicht von Pferd und Reiter beugt.
Mit diesen Überlegungen im Hinterkopf ist es interessant, das Schulterherein manchmal als #äußere-Hilfen/#äußeres-Hinterbein Übung zu betrachten. Mit anderen Worten, man könnte das Schulterherein vorbereiten, indem man zuerst das äußere Hinterbein ein paar Tritte übertreten lässt, damit es sich in einer besseren Position befindet, um den Körper zu stützen, wenn das innere Hinterbein übertritt.
Sobald das Schulterherein eingeleitet ist, könnte man das äußere Hinterbein vortreiben, anstatt das innere Hinterbein seitwärts zu treiben. Das verbessert oft die Biegung, da es das Pferd daran hindert, schief zu werden, indem die Kruppe nach außen schleudert.
Falls die Qualität des Schulterherein nachlässt, könnte man es unterbrechen durch eine Lektion, die das äußere Hinterbein engagiert. Das hat eine geraderichtende Wirkung und korrigiert viele häufige Fehler, die im Schulterherein vorkommen.
Analog dazu könnte man Krupperein/Renvers/Traversale manchmal als #innere-Hilfen/#innerer-Schenkel Übung ansehen. Mit anderen Worten, man könnte diese Lektionen vorbereiten, indem man zuerst das innere Hinterbein für ein paar Tritte engagiert. Dadurch verbessert sich die Biegung und das äußere Hinterbein kann leichter übertreten.
Sobald man die Traversale eingeleitet hat, könnte man das innere Hinterbein vortreiben, anstatt das äußere Hinterbein seitwärts zu treiben. Das wird bei der Beibehaltung der Biegung helfen. Es verhindert auch, dass die Kruppe vorausgeht, was auf der hohlen Seite sehr leicht passieren kann.
Falls die Qualität der Traversale nachlässt, könnte man sie unterbrechen durch eine Lektion, die das innere Hinterbein engagiert. Das stellt sowohl die verloren gegangene Biegung wieder her als auch die notwendige Unterstützung der Last durch das innere Hinterbein, während das äußere Hinterbein übertritt. Es übt eine geraderichtende Wirkung aus und korrigiert viele der häufigsten Fehler in der Traversale.
Beim Zulegen konzentrieren sich viele Reiter zu sehr auf den “mehr vorwärts” Aspekt, sodass sie schnellere Tritte bekommen anstatt längerer, kraftvollerer Tritte. Wenn man die Hinterbeine vor dem Zulegen engagiert und beugt und das Tempo vor dem Tritte Verlängern und manchmal auch währenddessen verlangsamt, bekommt man einen besseren Mitteltrab oder starken Trab. Das bedeutet, dass man ein Zulegen immer durch #versammelnde Übungen vorbereiten kann. Und man kann das Zulegen durch eine versammelnde Lektion abschließen.
Umgekehrt ist es oft so, dass Reiter beim Versuch ihr Pferd zu versammeln sich zu sehr auf das Verlangsamen des Tempos oder das Verkürzen der Tritte durch die Zügel und eventuell einen schweren Sitz konzentrieren, sodass sie ein steifes, schwungloses Pferd mit weggedrücktem Rücken bekommen. Behält man jedoch in Erinnerung, dass Schwung das Produkt von Balance, Geraderichtung und Geschmeidigkeit ist und räumt diesen drei Elementen die Priorität ein, kann man im Laufe der Zeit die Energie immer mehr hochfahren. Und wenn das Pferd während der kraftvolleren Tritte geschmeidig und entspannt bleibt, kann man die Energie in eine vertikalere Richtung lenken, sodass die Hinterbeine sich in einer ballistischen Kurve bewegen, die höher und damit kürzer wird. Die Versammlung entwickelt sich dann, ohne die Geschmeidigkeit oder die Energie zu verlieren. Mit anderen Worten, wenn das Ziel darin besteht, den Versammlungsgrad zu erhöhen, reitet man #balancierende, #mobilisierende und #geraderichtende Übungen. Dann gibt man mehr Energie hinzu, ohne die Balance, Leichtheit oder Geschmeidigkeit zu verlieren und lenkt die zusätzliche Energie durch den Widerrist nach oben in Richtung Himmel.
Schlußbemerkung
Ändert man ab und zu die Perspektive und betrachtet eine Lektion aus einem anderen Blickwinkel, bleibt die Materie frisch und interessant und man gewinnt neue Einsichten und bekommt neue Ideen. Wir entdecken dabei vielleicht Ausbildungsdefizite und Bildungslücken, die wir sonst übersehen hätten, wenn wir die Lektionen immer genau gleich reiten und uns dabei immer auf dieselben Dinge konzentrieren würden.