Sei kein toter Ballast

Eine Sache, um die ich mich stets bemühe, ist es, die Hinterbeine so gut wie möglich zu engagieren und zu aktivieren. In traditionellen Reitstunden scheint der Weg zu mehr Aktivität immer “durchtreiben - mehr Schenkel” zu heissen. Das ist allerdings nicht so ganz richtig. Denn wenn man mehr treibt und kräftigere Schenkelhilfen einsetzt, dann verspannt man die Beinmuskulatur, was die eigenen Hüftgelenke blockiert, was wiederum den Pferderücken und die Hinterhand blockiert. Klammernde oder tretende Schenkel führen dazu, dass das Pferd die Luft anhält und den Brustkorb verspannt, was ebenfalls den Schwung und die Rückentätigkeit tötet. Ich habe Pferde geritten, die sogar anhielten und nach dem Schenkel schlugen oder nach den Zehen bissen (meistens Hengste), wenn man irgendwie klammerte.

Das Geheimnis zu besserem Engagement und größerer Aktivität der Hinterhand liegt im Grunde genommen darin, mit dem Sitz nicht die Bewegung der Hinterhand zu bremsen oder zu blockieren. “Nimm den Fuß von der Bremse, bevor Du aufs Gaspedal trittst”, sagte ich früher zu Schülern in den USA, die Longenunterricht auf unseren Pferden nahmen und die Pferde nicht im Trab halten konnten. Die meisten von ihnen fingen sofort reflexartig an mit den Schenkeln zu kicken, um das Pferd am Ausfallen zu hindern, obwohl sie selbst der Grund dafür waren, dass das Pferd wieder in den Schritt zurückfiel. Je weniger man die Rückenbewegung stört, desto weniger braucht man zu treiben.

Ein statischer, schwerer Sitz, mit dem größten Gewichtsanteil auf den Gesäßknochen, tötet die Rückenbewegung, indem er verhindert, dass der Pferderücken sich aufwölbt, sodass die Hinterbeine kurz treten müssen. Steife Hüft- und Kniegelenke haben übrigens dieselbe Wirkung. Tritt das Hinterbein zu früh auf, wird es zu weit vom Schwerpunkt entfernt sein, wodurch die Beugephase gegenüber der Schubphase verkürzt wird. Das Ergebnis ist ein steifes Pferd, das auf der Vorhand geht und unbequem zu sitzen ist.

Die Verstärkung der Aufwärtsbewegung des Pferderückens kann erreicht werden, indem die Reiterin ihre Hüft- und Kniegelenke ein wenig streckt, wenn das Pferd sich in die Schwebephase des Trabes hebt, sodass ein kleiner Raum unter den Gesäßknochen entsteht, den das Pferd mit seinem Rücken ausfüllen kann. Wenn das Pferd nach der Schwebephase wieder landet, beugen sich die Hüft- und Kniegelenke der Reiterin auch wieder und sie kann ihr Gewicht mehr auf den Gesäßknochen ruhen lassen. Wollen wir uns im Sattel leichter machen, indem wir mit dem Becken ein wenig höher schwingen, dürfen wir in diesem Moment unseren Körper nicht mit den Gesäßknochen stützen, sondern müssen eine tiefer gelegene Unterstützungsfläche finden. Die Innenflächen unserer Knie und Oberschenkel können kurzfristig einen Teil des Gewichts übernehmen (aber ohne zu klemmen!), das vorher auf den Gesäßknochen ruhte. Dies verleiht dem Sitz sowohl größere Stabilität als auch größere Mobilität. Wenn man eine zusätzliche Unterstützungsfläche unterhalb der Wirbelsäule des Pferdes und unterhalb der Gesäßknochen finden kann, sitzt man sogar tiefer im Pferd. Ruht dagegen das gesamte Gewicht auf den Gesäßknochen, fühlt man sich oben auf den Pferderücken “aufgepfropft”.

Konzentriert man sich jedoch ausschließlich darauf, nach oben zu schwingen und leicht zu sitzen, dann wird das Pferd bald den Raum unter dem Sitz ausfüllen, indem es die Kruppe hochdrückt und auf die Vorhand fällt. Wir müssen also gelegentlich die Abwärtsschwingung nach der Schwebephase ebenfalls betonen, wenn ein Hinterbein landet und seine Gelenke beugt.

Die Betonung der Aufwärts- und Abwärtsbewegung oder der seitlichen Schwingung des Brustkorbs ist natürlich nicht bei jedem Tritt erforderlich. Sonst würde es schnell hektisch werden. Man kann sich einige Tritte neutral verhalten, dann kurz die Aufwärtsschwingung betonen, falls man den Eindruck hat, dass das Pferd den Rücken mehr aufwölben und mehr untertreten sollte. Man kann für ein paar Tritte die Abwärtsschwingung betonen, falls man den Eindruck hat, dass die Hinterbeine weicher werden und sich mehr beugen sollten. Dann kann man wieder für einige Tritte zur Neutralität zurückkehren, usw. Alle Handlungen werden nur “nach Bedarf” vorgenommen. Sie werden nicht mechanisch bei jedem Tritt wiederholt. Der Sitz soll ein lebendiges, atmendes, dynamisches Wesen sein, kein toter Ballast und kein harter Backstein, der den Pferderücken und die Hinterbein permanent gegen den Boden quetscht. Eine weitere Sache sollte ich erwähnen, nämlich dass die beschriebenen Bewegungen des Sitzes so klein sind, dass ein Beobachter sie nicht wirklich sehen kann, aber sie sind groß genug, dass das Pferd sie spüren kann.
Dem Pferd durch den dynamischen Gebrauch des Sitzes zu erlauben, seinen Rücken aufzuwölben und mit den Hinterbeinen unterzutreten ist also der eine Aspekt. Der andere ist die Tatsache, dass das Pferd sich gut mit dem einen Hinterfuß stützen muss, während der andere sich in der Luft befindet. Je mehr sich das aufgefußte Hinterbein beugt, desto mehr kann es beim Strecken seiner Gelenke in der Schubphase das andere Hinterbein vorwärts-aufwärts schwingen lassen.

Pferde, die nicht gut mit dem Boden und dem Gewicht verbunden sind, benützen meist nicht den vollen Bewegungsrahmen ihrer Hinterhandgelenke und sie gehen in der Regel auch nicht über den Rücken. Sie fühlen sich mehr oder weniger steif und unbequem an.

Verbindet man die Pferdebeine mit dem Boden und erlaubt man dem Pferd, seinen Rücken und seinen Widerrist anzuheben, bekommt man ein sehr aktives, rundes, über den Rücken gehendes Pferd.

Dieser dynamische, flexible Gebrauch des Sitzes kann durch andere Hilfen noch unterstützt werden. Beispielsweise könnte man eine treibende Schenkelhilfe einsetzen, wenn der Sitz mit dem Pferderücken nach oben schwingt, was sowohl das Untertreten des Hinterbeins auf dieser Seite als auch das Aufwölben des Rückens verstärkt. Macht man sich jedesmal im Sattel ein wenig leichter, wenn man mit dem Schenkel treibt, wird das Pferd bald den Zusammenhang erkennen und unter Umständen bereits aktiver in der Hinterhand werden, wenn man sich lediglich leichter macht, ohne zu treiben, da es die Aufwärtsschwingung des Sitzes mit der treibenden Schenkelhilfe assoziiert.
Während der Betonung der Abwärtsschwingung des Pferdekörpers kann man eine halbe Parade und/oder einen Bügeltritt anwenden. Das ist der Moment, in dem ein Hinterbein auffußt und seine Gelenke beugt. Die Akzentuierung der Beugephase des aufgefußten Hinterbeins kann entweder zu einer tieferen Hankenbeugung, zu kürzeren, höheren Tritten, oder zu einem langsameren Tempo führen, je nachdem, was man gerade erreichen will.