Einleitung
Ein gleichmäßiges Tempo (Tritte pro Minute), das weder zu schnell noch zu langsam für das Pferd ist, bildet die Grundlage des Gleichgewichts - gemeinsam mit korrekten Hufschlagfiguren. Deshalb ist es auch das erste Element der Skala der Ausbildung. Ein gleichmäßiges Tempo erlaubt dem Pferd, seine longitudinale Balance zu finden. Präzise Hufschlagfiguren, bei denen das Pferd gerade gerichtet ist, sodass die Pferdehufe so ausgerichtet sind, dass sich das linke Beinpaar auf der linken Seite der Linie befindet und das rechte Beinpaar auf der rechten Seite, während die Wirbelsäule einen Ausschnitt der Linie bildet, erlauben dem Pferd, seine seitliche Balance zu finden.
Wenn das Pferd seitlich und longitudinal ausbalanciert ist, kann es seine Muskeln entspannen und eine leichte, stete und gleichmäßige Verbindung mit den Zügeln suchen. Die Balance ist nicht nur die Voraussetzung für Losgelassenheit und eine gute Anlehnung, sondern auch für Durchlässigkeit, Schwung und Versammlung.
Tempo, Geschwindigkeit, Balance
Ich definiere das Tempo als Tritte pro Minute. Geschwindigkeit (km/h) ist das Produkt von Tempo und Trittlänge. Vergrößert man die Trittlänge, während das Tempo gleich bleibt, nimmt die Geschwindigkeit zu. Wird das Tempo schneller, nimmt die Geschwindigkeit ebenfalls zu, falls die Tritte nicht kürzer werden. Das ist jedoch nicht wünschenswert, da ein schnelleres Tempo meistens die Folge eines Balanceverlustes ist.
Verkürzt man die Tritte, während das Tempo konstant bleibt, wird die Geschwindigkeit abnehmen.
Jedes Pferd hat einen gewissen Bereich von Tritten (bzw. Schritten oder Sprüngen) pro Minute, in dem es sich ausbalancieren und loslassen kann. Reitet man ein Tempo, das ausserhalb dieses Bereichs liegt (entweder zu schnell oder zu langsam), kann das Pferd sich nicht ausbalancieren und daher auch nicht loslassen. Geschwindigkeit besitzt in der Dressur keinen Wert. Deshalb wird sie auch nicht als Ausbildungskategorie oder als Parameter des Ganges benützt. Tempo und Trittlänge spielen eine absolut zentrale Rolle in der Ausbildung.
Ist das Tempo zu hoch, wird die Bewegungsenergie eher in flache, schnelle, harte Tritte umgesetzt als in schwungvolle, federnde Tritte und das Pferd bleibt mehr oder weniger auf der Vorhand. Verlangsamt man das Tempo, ohne die Energie bzw. den Elan zu reduzieren, wird die Bewegungsenergie eine mehr vertikale Richtung bekommen, weil die Gelenke der Hinterhand sich mehr beugen.
Ist das Tempo zu langsam, bzw. die Energie zu gering, werden die Tritte matt und das Pferd fällt ebenfalls auf die Vorhand.
Leider ist das Tempo, welches das Pferd unter dem Reiter von sich aus anbietet, nicht immer das optimale. Manche sind von sich aus zu schnell unterwegs, andere zu langsam. Beides verhindert die freie Bewegung der Muskeln und Gelenke. Man kann das optimale Tempo aber ermitteln, indem man bewusst ein paar Zirkel schneller oder langsamer reitet als bisher und beobachtet, in welchem Tempo sich das Pferd am besten anfühlt. Viele Reiter übernehmen auch einfach nur das Tempo, das das Pferd anbietet, ohne es zu verändern. Man sieht das besonders häufig im Galopp. Die Reiterin kann aber das Tempo und auch die Trittlänge in allen Gangarten bewusst und gezielt beeinflussen.
In Wendungen spielt die Geschwindigkeit (km/h) dieselbe Rolle wie beim Autofahren. Sie ergibt sich aus dem Tempo und der Trittlänge. Genau wie beim Autofahren muss die Geschwindigkeit an den Kurvenradius angepasst werden, sonst fliegt man aus der Kurve. Bei zu schnellen Wendungen mit ungebeugtem innerem Hinterbein wird das Pferd ebenfalls nach außen getragen und die Fliehkraft greift dabei die Sehnen und Gelenke an.
Die Mehrzahl der Pferde neigt eher dazu, sich zu schnell als zu langsam zu bewegen, was es der Hinterhand nicht erlaubt, den gesamten Bewegungsablauf von Vorschwingen - Auffußen - Beugen/Stützen - Strecken/Schieben - Abfußen zu durchlaufen. Sie treten mit dem Hinterbein auf, überspringen die Beugephase und strecken die Gelenke sofort wieder. Dadurch schiebt sich das Pferd auf die Vorhand, was ungesund für die Sehnen und Gelenke der Vorhand ist. In diesem Fall muss man also das Tempo verlangsamen. Das kann vielleicht am leichtesten erreicht werden, indem man zwei halbe Paraden in eines der Hinterbeine (z.B. Bügeltritt, Zügelhilfe, Sitzhilfe, wenn das entsprechende Hinterbein sich am Boden befindet) erteilt. Man kann dabei in Gedanken sagen: LANG - SAM (2 Tritte, ein Tritt pro Silbe). Dabei sollte die Verlangsamung des Tempos sicht- und fühlbar sein. Das Pferd sollte die Reitbahn benützen wie ein Trampolin, nicht wie der Sprinter die Aschenbahn.
Tempo und Energie
Manche Pferde reduzieren ihr Energieoutput, wenn man das Tempo mit halben Paraden verlangsamt. In dem Fall muss man sie mit einer treibenden Hilfe daran erinnern, dass sie sich trotzdem weiter anstrengen sollen, auch wenn das Tempo etwas langsamer ist.
Man muss das Tempo und die Energie finden, die zum Pferd passt. Das wird beim Hannoveraner vielleicht anders sein als beim Haflinger und beim Haflinger anders als beim PRE, etc. Es gibt kein Tempo oder Energieniveau, das für alle Pferde gleich gut geeignet ist.
Die große Schwierigkeit besteht darin, Yin und Yang miteinander zu verbinden. Energisch und schwungvoll, aber nicht eilig. Ruhig im Tempo, aber nicht schläfrig. Auf der Suche wird man natürlich immer wieder in die eine oder andere Richtung zu weit gehen. Dazu kommt, dass es für die Pferde von Natur aus nicht unbedingt logisch ist, dass Energie und Tempo zwei verschiedene Kategorien sind. Die natürliche Reaktion auf die treibende Hilfe ist meistens ein schneller Werden. Die natürliche Reaktion auf das Verlangsamen des Tempos ist meistens ein Energieverlust. Die Reiterin muss dem Pferd also erklären, dass es kürzere oder langsamere Tritte machen kann, ohne an Energie zu verlieren und dass es sich mehr anstrengen kann, ohne dabei schneller zu werden.
Kleine Übung zum Tempo: Man könnte mit einem Metronom die Trittzahl pro Minute im Trab ermitteln, wenn das Pferd entweder frei läuft oder locker an der Longe trabt. Dann könnte man dasselbe beim Reiten tun. Ist die Trittzahl dieselbe? Oder ist das Pferd unter der Reiterin schneller oder langsamer? Wenn die Trittzahl unter der Reiterin eine andere ist, als an der Longe, könnte man versuchen, sie im Sattel so zu verändern, dass sie dem Longieren entspricht. Fühlt sich das Pferd jetzt besser oder schlechter an?
Fazit
Finden Sie das Tempo, in dem sich Ihr Pferd am wohlsten fühlt, d.h. in dem er sein Gleichgewicht finden und sich loslassen kann. Es sollte sich einerseits aktiv und energisch anfühlen und andererseits ruhig und losgelassen. Wenn das Tempo zum Pferd passt, ist es in der Lage, über den Rücken zu gehen und sein Genick fallen zu lassen. Es wird am Kreuz und am Schenkel stehen und die halben Paraden werden durchgehen. Sie müssen vielleicht ein wenig experimentieren müssen, um das beste Tempo zu ermitteln. Und Sie werden es im Laufe der Zeit verfeinern müssen, da es sich verändert, wenn das Pferd kräftiger und geschmeidiger wird.
Als Faustregel kann man festhalten: ein langsameres Tempo erfordert mehr Kraft als ein schnelleres Tempo, da die Hinterbeine die Last in jedem Tritt länger unterstützen müssen. Deshalb neigen junge Pferde meist zu einem schnelleren Tempo als weit fortgeschrittene, und viele Pferde neigen zum Eilen, wenn sie ihre Hinterhand entlasten wollen.