In meinen Reitlehrgängen und auch in unseren Online Kursen machen die Teilnehmer und ich immer wieder bestimmte Beobachtungen, die interessant und signifikant sind, wie z.B. dass meine Übungen nicht nur die Pferde geschmeidiger und entspannter machen, sondern auch die Reiter.
In meiner Jugend war es üblich, die Reiter praktisch nur Zirkel und ganze Bahn auf einem einfachen Hufschlag reiten zu lassen und ihnen ausschließlich zu sagen, was sie nicht machen sollen und nur ihre Fehler aufzuzeigen. Ab und zu kam auch mal ein Schenkelweichen und eine Vorhandwendung auf der Stelle vor. Dadurch wurde die Aufmerksamkeit der Schüler immer auf das Negative gelenkt, was die Losgelassenheit und die Freude am Reiten bei Pferd und Reiter nicht wirklich fördert. Wer immer nur negativ denkt, glaubt bald, dass er nie reiten lernen wird und wird verkrampft und frustriert.
Ich versuche stattdessen, den Schülern Aufgaben zu stellen, die aus bestimmten Hufschlagfiguren, Lektionen und Kombinationen von Hilfen bestehen, die sich gegenseitig ergänzen und zu deutlich sichtbaren Verbesserungen in Gang und Haltung der Pferde führen. Diese Aufgaben stellen eine gewisse Herausforderung für Pferd und Reiter dar, sind aber mit ihrem gegenwärtigen Ausbildungsstand lösbar, sodass Pferd und Reiter im Laufe der Reiteinheit ein gewisses Erfolgserlebnis haben. Dabei geht es nie um Perfektion - Perfektion ist sowieso unerreichbar-, sondern um inkrementale Verbesserung und die Gewinnung von Einblicken in die Zusammenhänge der Pferdegymnastik.
Diese Übungen arbeiten auf mehreren verschiedenen Ebenen. Sie mobilisieren und kräftigen bestimmte Muskelgruppen des Pferdes, sie verbessern seine Balance, sein Körpergefühl, sein Verständnis für die Reiterhilfen und seine Koordination.
Sie haben aber auch eine bestimmte Wirkung auf die Reiterin. Da die Wendungen, Übergänge und Lektionen ständige Anpassungen des Sitzes und der Gewichtsverteilung, sowie immer neue Hilfenkombinationen verlangen, bleiben Pferd und Reiter ständig in Bewegung, sodass sie sich nicht so leicht gegeneinander stemmen oder in ein “Tauziehen” geraten können. Mobilisierungender Muskeln und Gelenke verhindern Steifheiten bei beiden Partnern.
Das Pferd kann nicht den Boden gegen den Reiter verwenden und der Reiter wird durch die Abwechslung immer wieder dazu gebracht, die Schenkel- und Zügelhilfen auf der einen Seite loszulassen, um sie auf der anderen Seite anbringen zu können.
Das Reiterbecken wird geschmeidiger, die Reiterin findet in ihrem Sitz nach und nach immer mehr die Mitte, weil sie in den Übungen die Schultern und Hüften des Pferdes immer wieder von der Mitte nach rechts und nach links bewegen muss. Dieser Kontrast fördert die Entwicklung des Gefühls. Auch das Gewicht muss häufig von einer Seite auf die andere verlagert werden, wodurch die Reiterin nach und nach auch hier die Mitte findet. Die Übungen haben also eine geraderichtende Wirkung auf den Reiter und sie lösen die Hüftmuskulatur.
Bügeltrittübungen bringen die Reiter dazu, ihre Beine loszulassen, weil man mit Klammerschenkeln und angepressten Knien keine Bügeltritte anbringen kann.
Die vielen Handwechsel und Biegungswechsel erfordern ein ständiges Neuordnen der Zügellänge. Die oft etwas unkonventionellen Kombinationen der Hufschlagfiguren und Seitengänge lenken die Aufmerksamkeit der Reiter auf die Linie und die Pferdebeine - und damit weg vom Pferdekopf und -hals. Dadurch, dass es immer etwas zu tun gibt, muss sich die Reiterin auf positive Dinge konzentrieren. Sie muss schauen, wo sie als nächstes hinreiten soll und nachdenken, wie sie dem Pferd am besten helfen kann. Sie muss die Pferdeschultern wenden, die Hüften weichen lassen, die Biegung wechseln, verschiedene Pferdebeine mit dem Gewicht und dem Boden verbinden, etc. Da bleibt wenig Zeit für negative Gedanken. Die Arbeitseinheit wird dadurch interessant und abwechslungsreich und macht viel mehr Freude.
Fehler werden Anlass zu interessanten neuen Beobachtungen, die das Verständnis für die Zusammenhänge fördern, und sie werden zur Inspiration für neue Übungen. Dadurch sind Fehler nicht mehr negativ besetzt und deprimierend, sondern sie werden zu Lerngelegenheiten. Die Schüler merken auch, dass Fehler nicht das Ende der Welt bedeuten, sondern dass man sie sehr schnell wieder verbessern kann, indem man an Sitz und Hilfen etwas ändert. Das befreit die Schüler von der Angst das Pferd zu verreiten, die bei uns früher allgegenwärtig war.
Pferd und Reiter werden durch die immer neuen Kombinationen von Übungen körperlich und geistig flexibel und die Reiter lernen zu beobachten und zu analysieren.
Viele dieser Wirkungen waren mir lange nicht bewusst und wurden erst im Laufe der Jahre deutlich, z.T. auch durch das Feedback der Reiter.
Falls Sie auch durch früheren Unterricht zum Fehlergucker geworden sind und dazu neigen, sich immer nur auf das Negative zu konzentrieren, probieren Sie in Ihrem nächsten Training sich auf das Positive zu konzentrieren, also das, was zu tun ist, anstatt auf das, was zu vermeiden ist. Fragen Sie lieber: welchen Punkt will ich als nächsten ansteuern? Wo sind die Schultern und Hüften meines Pferdes? Welches Bein stützt die Hauptlast? Wie kann ich ihm die nächste Wendung, den nächsten Übergang, den Einstieg in die nächste Lektion erleichtern? Denken Sie nicht: Was mache ich jetzt schon wieder falsch? Wenn ein Fehler passiert, denken Sie: Was kann ich aus dieser Beobachtunglernen? Was kann ich beim nächsten Mal anders machen? Dadurch wird der ganze Ritt entspannter, angenehmer und positiver für Pferd und Reiter.