Gedanken zum Aufwärmen

Ich möchte heute ein paar Anregungen zum Aufwärmen geben. Viele Reiter machen sich entweder keine Gedanken über das Aufwärmen, oder sie folgen jeden Tag derselben Routine ohne zu überlegen, ob dies wirklich der optimale Aufbau der Einheit ist.

In meiner Jugend wurde als Unterrichtsplan gelehrt, dass man zu Beginn 10 min Schritt am hingegebenen Zügel reiten sollte, gefolgt von 20 Minuten Leichttraben im vorwärts-abwärts, danach 20 Minuten aussitzen, vielleicht noch 10 Minuten Galopparbeit und zum Abschluss Auskühlen am hingegebenen Zügel.

Das kann bei manchen Pferden sinnvoll sein, es gibt daneben aber auch sehr viele Pferde, bei denen dieser Arbeitsaufbau ineffektiv oder sogar kontraproduktiv ist. Im Grunde gibt es für jedes Pferd einen eigenen Ablauf, der ihm am meisten entgegen kommt, bei dem sich das Pferd am besten entfalten und entwickeln kann. Die Reiterin sollte versuchen, diesen Ablauf zu finden, indem sie mit verschiedenen Formaten experimentiert.

Die Aufgabe des Aufwärmens besteht einerseits darin, das Pferd in einen Zustand des physischen und psychischen Gleichgewichts zu bringen, sodass das Pferd sich loslassen kann und die eigentliche Arbeit beginnen kann. Andererseits soll der Reiter das Pferd in der Aufwärmphase auf die Hilfen abstimmen, ähnlich wie man ein Musikinstrument vor dem Spielen stimmt, sodass das Pferd aufmerksam auf alle Hilfen achtet und sich bemüht, auf die gestellten Fragen die richtige Antwort zu geben. Unter allen Umständen zu vermeiden ist es, dass das Pferd durch das Aufwärmen schon müde und erschöpft wird, was man leider immer noch häufig beobachten kann.

Die oben genannte Formel für den Arbeitsablauf führt leider in vielen Fällen zu einem gedankenlosen Herumreiten und Herunterspulen von leeren Kilometern, die die Ausbildung des Pferdes weder physisch noch intellektuell fördern, sondern eher die Sehnen und Gelenke belasten und das Pferd nur müde machen.

Im Folgenden möchte ich ein paar Anregungen geben, wie man den Arbeitsaufbau effektiver und für Pferd und Reiter angenehmer gestalten kann. Mein Ziel ist es, wenn möglich das Pferd vor dem Aufsitzen so vorzubereiten, dass es schon möglichst ausbalanciert und angenehm zu sitzen ist. Das ist nicht nur für mich, sondern auch für das Pferd viel angenehmer, als wenn ich auf einem steifen, harten Pferd herumtraben und -galoppieren müsste, bis es endlich weich wird.

Daher habe ich relativ früh angefangen, die Pferde durch Longieren und/oder Handarbeit aufzuwärmen. Das Ziel des Longierens ist dabei nicht, überschüssige Energie, den früher sogenannten “Stallmut” abzulassen, sondern das Pferd in einen Zustand der geistigen Sammlung und des Gleichgewichts zu bringen.

Es gibt Pferde, denen es gut tut, wenn sie vor der Arbeit in der Bahn frei laufen dürfen. Andere profitieren sehr vom Longieren. Man kann beim Longieren sehr gut Cavaletti mit einbeziehen. Bei manchen ist eine Kombination von einigen Minuten Longieren im Trab und einigen Minuten Handarbeit gut geeignet, um sie auf das Reiten vorzubereiten. Wieder andere sprechen sehr gut auf die Doppellonge an. Bei manchen Pferden sind 15 Minuten Langzügelarbeit zum Aufwärmen äußerst effektiv.

Handarbeit und Langzügelarbeit haben darüber hinaus den Vorteil, dass der Reiter gleich mit aufgewärmt ist. Das ist ja auch ein Thema, das gerne unter den Tisch gekehrt wird. Wir reiten selbst ebenfalls besser, wenn wir aufgewärmt und gedehnt sind, bevor wir aufs Pferd steigen.

Es gibt übrigens Pferde, die durch das Longieren eher schlechter werden und es gibt Pferde, die für die Handarbeit zu aggressiv sind.

Man muss also verschiedene Möglichkeiten ausprobieren und beobachten, worauf das Pferd am besten anspricht, sodass Pferd und Mensch beim Aufsitzen in der optimalen körperlichen und psychischen Verfassung sind.

Wenn man einmal einen Aufbau gefunden hat, der gut funktioniert, heisst das aber leider nicht, dass dies nun für den Rest der Pferdekarriere so bleibt. Pferde verändern sich ständig und so müssen wir als Reiter und Ausbilder unserer Pferde diese Veränderungen berücksichtigen und das Training entsprechen an die neuen Bedürfnisse unserer Pferde anpassen. Das ist eine ständige Herausforderung.

Hier sind noch einmal die Aufwärmoptionen ohne Reiter aufgelistet, die man auch sehr gut miteinander kombinieren kann:
 

Aufwärmoptionen ohne Reiter

  • Longieren
  • Doppellonge
  • Handarbeit
  • Lange Zügelarbeit
  • Freilaufen lassen


Unter dem Reiter gibt es ebenfalls viele verschiedene Vorgehensweisen, die sinnvoll sein können, je nach Gebäude, Temperament, Alter und Ausbildungsstand des Pferdes. Generell sollte man dabei wie immer von einfacheren zu komplexeren Übungen fortschreiten und die Arbeit sich nach und nach entwickeln lassen.


Dabei sollte man die 3 Phasen der Biegearbeit berücksichtigen:

  1. Biegen und Wenden auf dem einfachen Hufschlag,
  2. Übertreten mit Biegung gegen die Bewegungsrichtung,
  3. Übertreten mit Biegung in die Bewegungsrichtung.


Viele Pferde sprechen sehr gut auf eine längere Aufwärmphase im Schritt mit gebogenen Linien und Seitengängen an. Vor allem ältere Pferde und solche mit Arthrosen oder alten Sehnenverletzungen kann man mit dieser Strategie sanft auf die eigentliche Arbeit vorbereiten.

Wenn die Pferde anpiaffiert sind, eignen sich auch halbe Tritte sehr gut zum Lösen des Pferdes, weil es eine sanfte Bewegung ist.  

Manche Pferde lösen sich besonders gut durch Trab - Galoppübergänge, vor allem auch in Kombination mit gebogenen Linien und vielen Handwechseln.

Manche Pferde sprechen sehr gut auf längere, ruhige Trabreprisen auf abwechslungsreichen gebogenen Linien an.

Übergänge zwischen Schritt, Trab und Halten in die vier Beine sind ebenfalls gut geeignet, um das Pferd auszubalancieren und zur Losgelassenheit zu bringen.

Bügeltrittsequenzen im Trab und Galopp können die Losgelassenheit ebenfalls verbessern.

Zusätzlich kann man natürlich Cavalettiarbeit oder einen kurzen Ausritt ins Gelände einbauen.

Ein altes Vorurteil, das sich zum Teil immer noch hartnäckig hält, besteht darin, dass viele Reiter glauben, man sollte zum Aufwärmen nur geradeaus auf einfachem Hufschlag traben und galoppieren, bis es locker geworden ist und erst dann mit Seitengängen anfangen. In Wahrheit lösen sich die meisten Pferde durch Seitengänge viel schneller, während das ständige geradeaus Traben und Galoppieren auf einem steifen Pferd so ähnlich wirkt, wie wenn man ein Ei länger kocht. Sowohl das Ei wie das Pferd werden dabei eher härter als weicher.

Hier ist zum Abschluss noch einmal die Liste mit Aufwärmoptionen unter dem Reiter.

Aufwärmoptionen unter dem Reiter

  • Einfach zu fortgeschritten (3 Phasen der Biegearbeit)
  • Langes, ruhiges Aufwärmen im Schritt mit Seitengängen
  • Piaffe
  • Trab - Galoppübergänge
  • Längere, ruhige Trabreprisen auf gebogenen Linien
  • Bügeltrittsequenzen
  • Kurzer Ausritt ins Gelände
  • Cavalettiarbeit


Experimentieren Sie mit den verschiedenen Möglichkeiten. Sie werden dadurch Ihr Pferd besser kennen lernen und interessante Einblicke in die Materie als solche erhalten.