Geduld beim Reiten

Dr. Kristen Guest

 

“Ich habe Zeit” sollte das Leitwort vor allem für jeden Dressurreiter während der gesamten Ausbildung sein und ihn an die Tatsache erinnern, dass das Ziel der klassischen Reitkunst nur durch ein langsames Ansteigen der Anforderungen erreicht werden kann.”
- Colonel Alois Podhajsky


Wenn ich ein Mantra für mein Reiten habe, ist es “Ich habe Zeit”. Podhasjskys Überzeugung, dass Geduld ein Eckpfeiler der Reitkunst ist, berücksichtigt die Tatsache, dass das Pferd Zeit braucht, um die Kraft, die Balance und das Verständnis zu entwickeln, um sein volles Potential zu erreichen und gleichzeitig gesund und zufrieden in seiner Arbeit zu bleiben.  Gleichzeitig kämpfe ich heftig mit der Ungeduld: Mit dem Wunsch Fortschritte zu machen, in die nächste Klasse aufzusteigen. Dieses Jahr werde ich 50, und ich sehe immer mehr, dass meine reiterlichen Ambitionen einkalkulieren müssen, dass meine Zeit nicht unbegrenzt ist. Diese Wahrheit zu beherzigen, dass ich nur dann hoffen kann, mein Ziel zu erreichen, wenn ich mir so viel Zeit lasse, wie nötig, ist schwer. Es ist ebenfalls schwer, die richtige Perspektive zu bewahren, wenn mein Pferd mehr Zeit braucht oder wenn ich etwas nicht verstehe und monatelang (oder jahrelang!) damit ringe, bis mir ein Licht aufgeht und ich wieder Fortschritte machen kann. Am schwersten ist es, zu sehen, wie andere scheinbar mit Leichtigkeit Dinge reiten können, mit denen mein Pferd und ich Schwierigkeiten haben.


In meinem Ringen um Fortschritt bin ich in der glücklichen Position, dass ich die Unterstützung eines Lehrers habe, der fest (und wiederholt) darauf beharrt, dass es sinnlos ist, sich unter Druck zu setzen oder sich mit anderen zu vergleichen. Meine Pferde haben die Bedeutung der Geduld vielleicht sogar noch nachdrücklicher hervorgehoben.

Mein erstes Dressurpferd, ein Vollblut von der Rennbahn, war ein äußerst ungewöhnliches Lehrpferd. Im Unterschied zum Idealfall — ein ausgebildetes Pferd, das der Reiterin geduldig hilft, die Lektionen zu lernen und dabei Ihre Fehler verzeiht — kam mein Pferd ohne vorherige Erfahrung zur Dressur, genau wie ich. Ebenfalls im Unterschied zum Idealfall, war er missmutig, schwierig und er schien jeden meiner Fehler extra hervorzuheben durch spektakuläre Wutanfälle. Um Fortschritte zu machen musste ich einerseits alles richtig machen und andererseits sehr viel Zeit darin investieren, ihn davon zu überzeugen, das elementare Anforderungen wie Biegen und Übertreten ihn nicht umbringen würden.

Mit viel Hilfe wir vorwärts, aber unsere Fortschritte waren weder schnell noch dramatisch. Es kam fast nie vor, dass wir eine neue Fertigkeit oder Übung in einer Einheit - oder Dutzenden - meisterten. Fortschritte waren unter solchen Bedingungen fast nicht messbar. Was mich durchhalten liess, und was sich als die wichtigste Lektion entpuppte, die mir dieses Pferd beibrachte, war die Fähigkeit, den kumulativen Effekt vieler nahezu unsichtbarer Babyschritte zu erkennen. Wenn ich auf einzelne Ritte zurückblickte, schien sich nichts zu verändern. Doch wenn ich sechs Monate oder ein ganzes Jahr zurückblickte, war der Fortschritt bedeutend. Eines Tages arbeiteten wir in einer Reitstunde an einer Galoppübung und ich sagte plötzlich: “Das ist toll: er fühlt sich an wie ein S-Pferd” und Thomas sagte: “Naja, er ist ein S-Pferd.”

Ich wünschte ich könnte behaupten, dass ich die Erkenntnis der Bedeutung der Geduld voll integriert habe, aber es ist und bleibt ein immer währender Kampf mit mir selbst. Mein Nachwuchspferd, das viel talentierter und kooperativer als mein Vollblut ist, erinnert mich ständig daran, dass ich es nicht ausnützen darf, wenn er mir etwas Besonderes anbietet: Manchmal ist es nur die Vorschau auf tolle Dinge in der Zukunft, für die die notwendige Kraft erst noch in langer, langsamer Arbeit entwickelt werden muss. Er erinnert mich auch daran, dass zu schnelle Fortschritte später Probleme in der Ausbildung verursachen können, die dann lange Zeit brauchen, um sie zu reparieren: viel länger, als wenn ich gleich Geduld gehabt hätte.

Jetzt fragen Sie sich wahrscheinlich, ob ich nützliche Instruktionen anbieten werde, wie man ein geduldigerer Reiter wird. Ich fürchte, die ich habe nicht wirklich. Aber was ich beobachtet habe, ist, dass langsame, gleichmäßige, schrittweise Fortschritte in vieler Hinsicht die besten sind, weil sie irgendwann, scheinbar aus dem Nichts zu dem “S-Pferd” führen, das eine Schnelldressur nie produzieren kann.