Seitengänge sind schön anzuschauen, wenn sie gut geritten sind. Sie machen Spaß und sie werden in bestimmten Turnieraufgaben verlangt. Darüberhinaus sind sie aber auch unverzichtbare Hilfsmittel bei der Pferdegymnastik. In diesem Newsletter möchte ich einige Gedanken und Beobachtungen zur gymnastischen Funktion der Seitengänge mitteilen. Es ist keine umfassende, abschließende Behandlung des Themas. Das würde den Rahmen des Blog sprengen.
Aufgrund des Übertretens eignen sich Seitengänge sehr gut zum Mobilisieren der Pferdehüften und zum Lösen und Kräftigen der seitlichen Bauchmuskulatur.
Sie können unterteilt werden in zwei große Gruppen:
- Seitengänge mit Biegung GEGEN die Bewegungsrichtung - Schulterherein und Konterschulterherein. Hier kann man im weiteren Sinne die Vorhandwendung in der Bewegung mit einordnen, das sie biomechanisch verwandt ist.
- Seitengänge mit Biegung IN Bewegungsrichtung: Kruppeherein, Renvers und Traversale. In diese Gruppe gehören von der Bewegungsmechanik her auch die Passade, Hinterhandwendung und Pirouette, sowie die Pirouette renversée, die eine Vorhandwendung in der Bewegung mit Biegung in Bewegungsrichtung darstellt.
Man kann die Seitengänge auch unterteilen in solche mit Biegung zum Inneren der Bahn: Schulterherein, Kruppeherein und Traversale.
Und es gibt die sogenannten Konterlektionen, mit Biegung nach außen: Konterschulterherein und Renvers. Diese sind gymnastisch besonders wertvoll, werden aber leider wenig bis gar nicht geritten, weil sie in Turnieraufgaben und Schauprogrammen sozusagen stiefmütterlich behandelt werden.
Es gibt noch eine weitere Möglichkeit der Unterteilung. Wenn man Seitengänge auf gebogenen Linien reitet, gibt es solche, bei denen die Hinterbeine den größeren Weg zurückzulegen haben: Schulterherein und Renvers.
Und es gibt solche, bei denen die Hinterbeine den kleineren Weg zurückzulegen haben: Konterschulterherein und Kruppeherein.
Alle diese Klassifikationsmerkmale haben bestimmte gymnastische und funktionale Konsequenzen. Im Laufe der Jahre habe ich beobachtet, dass sich die Seitengänge mit Biegung GEGEN die Bewegungsrichtung besonders gut zum Lösen und Schliessen des Pferdes eignen, weil man mit ihnen das innere Hinterbein sehr effektiv unter den Körper bringen kann. Damit kann man sehr gut die seitliche Biegung verbessern und versammelnde Übungen wie Traversalen und Pirouetten vorbereiten, bei denen das innere Hinterbein vermehrt durch das Gewicht belastet und damit in seinen Gelenken gebeugt wird.
Die lösende Wirkung wird besonders betont durch:
- Bügeltritte in ein Vorderbein bzw. Bügeltrittsequenzen, die verschiedene Vorder- und Hinterbeine mit einander verbinden
- Kombinationen von einigen Tritten Schulterherein und Konterschulterherein im Wechsel mit einander
- Kombinationen von einigen Tritten Schulterherein oder Konterschulterherein im Wechsel mit Volten
- Kombinationen von einigen Tritten Schulterherein oder Konterschulterherein im Wechsel mit Vorhandwendungen in der Bewegung
Man kann Schulterherein und Konterschulterherein natürlich auch zum Versammeln einsetzen durch:
- Bügeltritte in ein Hinterbein
- Parieren zum Halten in ein Hinterbein
- Rückwärtsrichten im Seitengang
- Kombinationen von Schulterherein oder Konterschulterherein mit Passaden, Hinterhandwendungen oder Pirouetten
Seitengänge mit Biegung IN Bewegungsrichtung eignen sich sehr gut zum Versammeln, da sie das innere Hinterbein vermehrt belasten, während das äußere übertritt. Voraussetzung für das Gelingen dieser Seitengänge ist, dass das innere Hinterbein gut untertritt und die innere Hüfte vorgerichtet ist, sodass sich das Pferd überhaupt in die Bewegungsrichtung biegen kann. Daher bilden die schulterhereinartigen Seitengänge die Vorstufe und die Vorbereitung der traversartigen Seitengänge.
Gymnastisch besonders effektiv sind folgende Kombinationen:
- Schulterherein - Kruppeherein
- Konterschulterherein - Renvers
- Schulterherein - Traversale
- Traversale - Pirouette
- Kruppeherein - Pirouette
- Traversale - Pirouette renversée
Auch das Anhalten in ein Hinterbein und das Rückwärtsrichten im Kruppeherein oder Renvers ist sehr gut geeignet, um ein Hinterbein vermehrt zu beugen.
Ganz generell sind Übergänge zwischen den Gangarten und sogar innerhalb der Gangart in allen Seitengängen sehr nützliche gymnastische Hilfsmittel.
Besonders interessant und gymnastisch effektiv sind die Seitengänge auf gebogenen Linien, da sich hier die Bewegungsmechanik verändert:
- Im Schulterherein und Renvers haben die Vorderbeine den kleineren Kreisbogen inne, während die Hinterbeine den größeren Kreis beschreiben.
- Im Kruppeherein und Konterschulterherein haben die Hinterbeine den kleineren Kreisbogen inne, während die Vorderbeine den größeren Weg zurückzulegen haben.
Das hat bestimmte Konsequenzen. Wenn die Hinterbeine den größeren Weg zurückzulegen haben, müssen sie längere Tritte machen und sich etwas schneller bewegen. Daher eignen sich Schulterherein und Renvers auf gebogenen Linien dazu, langsame Hinterbeine schneller zu machen.
Im Schritt fangen viele Pferde an, die Tritte zu diagonalisieren und halbe Tritte bzw. Piaffetritte anzubieten, wenn man das übertretende Hinterbein hier aktiviert und das andere mit dem Gewicht und halben Paraden länger am Boden festhält.
Pferde, die von sich aus eher zu kurze Tritte machen, können über Schulterherein und Renvers auf gebogenen Linien auch lernen, längere und aktivere Tritte zu machen, insbesondere wenn man diese Übungen im Trab reitet.
Wenn die Hinterbeine den kürzeren Weg zurückzulegen haben, müssen sie die Last vermehrt stützen. Pferde, die mit den Hinterbeinen zu lange Tritte machen und zu stark schieben, profitieren von Kruppeherein und Konterschulterherein auf dem Zirkel oder der Volte.
Kruppeherein auf gebogenen Linien eignet sich sehr gut zum Erarbeiten des versammelten Galopps, da es dem Pferd durch die Mechanik der Linie und der Lektion sehr erschwert wird, flach und schnell und bergab zu galoppieren.
Da extreme Versammlung in der Renaissance und im Barock ein Hauptziel der Reitkunst war, sieht man in den alten Büchern und auf den alten Stichen sehr viele Pferde in traversartigen Seitengängen mit relativ starker seitlicher Abstellung.
Geschickte Kombinationen von Seitengängen eignen sich hervorragend für die Geraderichtung, da beispielsweise Fehler, die im Schulterherein auftreten, im Kruppeherein oder in der Traversale wieder korrigiert werden und umgekehrt. Fehler, die im Konterschulterherein auftreten, werden im Renvers korrigiert und umgekehrt.
Da man mit Seitengängen die Hinterbeine vermehrt unter den Körper bringen und mittels des Gewichts in ihren Gelenken beugen kann, eignen sie sich sehr gut als Ausgangsbasis für Gangverstärkungen. Das starke Schließen der Gelenke motiviert das Pferd zum Strecken, d.h. zum Schieben und Zulegen.
Nimmt man zu den Kombinationen der diversen Seitengänge noch die Volten und die Wendungen um die Vorhand, sowie die Wendungen um die Hinterhand dazu, erhält man einen schier unerschöpflichen Vorrat von Übungen, die das Pferd geschmeidiger, kräftiger, wendiger, losgelassener, schwungvoller und versammlungsfähiger machen.