Ausweichmanöver

Ich habe gerade auf einer Webseite der westfälischen Wilhelms-Universität Münster über freie Energie und chemisches Potential (Wintersemester 2013/14) gelesen, dass “ein Viel Teilchen System den Zustand Minimaler Energie UND gleichzeitig Maximaler Unordnung” anstrebt. Vielleicht ist das der Grund warum Pferde immer die leichteste, “energiesparendste” Art suchen, das zu tun, was wir mit ihnen reiten wollen. Das beinhaltet meistens eine Reduktion des Gewichtsanteils, den die Hinterbeine tragen müssen, mittels eines Ausweichmanövers. Otto von Monteton fasst dieselbe Beobachtung in seinem Buch “Über die Reitkunst” (1877) zusammen, indem er ganz direkt behauptet: “Alles, was lebt, ist faul”. Faulheit is auch eine Form der Intelligenz. Alle großen Erfindungen der Menschheit waren durch Faulheit motiviert: wie kann ich die Arbeit schneller machen, mit weniger Aufwand? So wurde das Rad erfunden und alle Maschinen.

Dem Reiter erscheint es vielleicht manchmal so, als ob dem Pferd eine endlose Reihe von Ausweichmanövern einfällt, mit dem es sich entziehen und seine Hinterbein beschützen kann. Von einem systematischen Standpunkt aus gesehen gibt es jedoch nur FÜNF verschiedene Arten, auf die das Pferd die Lastaufnahme durch die Hinterbeine und die Hankenbeugung vermeiden kann:

  1. Ausweichen der Schulter nach links oder rechts (schief werden)
  2. Ausweichen der Hinterhand nach links oder rechts (schief werden)
  3. Weglaufen
  4. Sich verhalten oder anhalten
  5. Den Kopf senken

Die ersten beiden Ausweichmanöver gehören in den Bereich der natürlichen Schiefe. Die Schultern neigen immer dazu in Richtung steife (die natürlich konvexe, Zwangsseite) Seite auszuweichen, wodurch das Gewicht vom Hinterbein der hohlen (natürlich konkaven) Seite abgezogen und auf die Schulter der steifen Seite übertragen wird. Das Pferd wird sich wahrscheinlich auch auf den Zügel der steifen Seite auflegen.

Die Hinterbeine neigen immer dazu, in Richtung hohle (natürlich konkave) Seite auszuweichen, wodurch das Gewicht ebenfalls vom Hinterbein der hohlen Seite auf die Schulter der steifen Seite übertragen wird. Das Endergebnis ist also dasselbe, aber der Weg dorthin is unterschiedlich.

Kann das Pferd das Hinterbein der hohlen Seite nicht durch schief Werden entlasten, versucht es vielleicht die Körpermasse nach vorne von den Hinterbeinen weg zu schieben. Das trifft man vor allem bei Pferden mit kräftigen, relativ geraden Hinterbeinen an. Dadurch wird das Gewicht von den Hinterbeinen auf beide Vorderbeine übertragen und führt oft zu einem schweren Auflegen auf die Zügel. Manche Pferde gehen über den Zügel. Andere legen sich auf die Hand, je nach Exterieur.

Sollte schief Werden und durch den Sitz hindurch Drücken nicht funktionieren, kann das Pferd sich verhalten und sich weigern vorwärts zu gehen. In extremen Fällen kann es sogar anhalten und rückwärts gehen. Dies ist etwas, das man bei massigen Pferden mit relativ großem Oberkörper, kurzen Beinen und massiven Hälsen antrifft, die niedrig angesetzt sind. Pferde mit schwachen Rücken neigen ebenfalls manchmal dazu langsamer zu werden oder rückwärts auszuweichen.

Gelingt es dem Reiter, alle diese Ausweichmanöver zu verhindern, senken manche Pferde den Hals und ziehen dem Reiter die Zügel aus der Hand. Pferde mit einem schlanken, beweglichen Hals rollen sich manchmal hinter der Senkrechten ein. In diesem Fall nützt das Pferd die Hebelwirkung und das Gewicht seines Halses um seine Hinterhand. Der Pferdehals besitzt ein gewisses Gewicht. Je größer er ist, desto schwerer ist er. Da er auch über die Unterstützungsfläche nach vorne herausragt, übt er eine Hebelwirkung auf den Rest des Körpers aus. Je länger der Hals ist, desto größer ist die Hebelwirkung. Je mehr das Pferd seinen Hals nach vorne und unten streckt, desto mehr Gewicht wird von den Hinterbein auf die Vorderbeine übertragen. Pferde nützen dies instinktiv aus, wenn die Arbeit für die Hinterbeine anstrengend wird. Im positiven Sinne kann es zu einem hilfreichen Vorwärts-abwärts Dehnen führen, nachdem der Reiter die Hinterbeine erfolgreichmit Hilfe des Körpergewichts belastet und gebeugt hat. Im negativen Sinne kann es dazu führen, dass das Pferd die Belastung seiner Hinterbeine vermeidet, indem es den Kopf nach unten stößt und dem Reiter die Zügel aus der Hand zieht oder sich aufrollt und in die Brust beisst.

Manche Pferde probieren systematisch alle Optionen aus bevor sie ihre Hinterbeine korrekt benützen. Manche Pferde kombinieren mehrere Möglichkeiten mit einander. Zum Beispiel kann ein Pferd sich schief machen und sich gleichzeitig verhalten. Ein anderes Pferd stellt vielleicht den Kopf tief und geht rückwärts. Manche Pferde reissen dem Reiter die Zügel aus der Hand und rennen davon. Es gibt auch ein paar Pferde, die aus Zorn oder Frustration buckeln, wenn alles nichts hilft und der Reiter alle fünf Ausweichmanöver abstellen konnte.

Ich möchte noch einmal betonen, dass diese Ausweichmanöver kein Kooperationsmangel oder Zeichen eines schlechten Charakters sind. Ich sehe sie eher als Auswirkungen der Naturgesetze an, die alle Systeme dazu führen, dass sie Energie sparen. Das macht auch Sinn vom Standpunkt der Selbsterhaltung. Leider kompliziert es unser Leben als Reiter, da es zu einer inkorrekten Ausführung der Lektionen führt und die falschen Muskeln entwickelt, wenn wir es zulassen.