Gastbeitrag von Noor Tanger
Pferdeausbildung ist recht schwierig, wenn man es richtig machen will. So viele Dinge muss man gleichzeitig im Kopf behalten, um ein optimales Ergebnis zu erzielen. Man ist buchstäblich der Fitness Coach und Mentaltrainer des Pferdes!
Das wichtigste im Training sollte immer das Wohlergehen des Pferdes sein. Gute Pferdeausbildung ist etwas anderes als Tricktraining unter Zwang.
Das Training sollte immer die Balance verbessern um Verletzungen vorzubeugen. Sehnenverletzungen sind beispielsweise oft das Ergebnis der Schiefe (auch wenn sie nur sehr wenig ausgeprägt ist), die dazu führt, dass ein Bein permanent mehr Gewicht tragen muss als die anderen, wodurch die Sehnen dieses Beins ständig überbeansprucht werden, bis das Pferd lahm geht.
Ähnlich verhält es sich auch mit Rücken- oder Beckenverletzungen, die zustande kommen, wenn das Pferd immer mit weggedrücktem Rücken geritten wird. Deshalb ist es so wichtig, korrekt zu trainieren. Da ich weiss, wieviel Zeit und Mühe es kostet, ein Pferd gut auszubilden, gebe ich Ihnen gerne ein paart Tipps, wie man effektiver trainieren kann.
1. Fangen Sie jede Trainingseinheit mit einer positiven inneren Einstellung an, jedoch ohne Erwartungen.
Erwartungen erzeugen einen psychologischen Druck bei der Reiterin, der sich auf das Pferd überträgt. Fangen Sie also einfach nur mit einem positiven Gefühl an. Der Rest folgt dann von allein.
2. Reiten Sie jede Hufschlagfigur mit der Absicht, die Balance zu verbessern
Stellen Sie sich jede Hufschlagfigur im Geiste vor, bevor Sie damit anfangen und beobachten Sie anschließend, was passiert, wenn Sie sie reiten. Kontrollieren Sie die Ausrichtung des Pferdes, sodass es die gewählte Linie nicht verlassen kann. Dann bleiben alle vier Beine genau in ihrer jeweiligen Spur, wodurch sich die Tragkraft der Hinterbeine verbessert und ein Teil der Last von den Vorderbeinen auf die Hinterhand übertragen wird. Stellen Sie sich Kegel in die Reitbahn, damit Ihre Zirkel weder kleiner noch größer als geplant ausfallen. Das ist anfangs nicht leicht, aber es wird die Effektivität Ihrer Arbeit definitiv erhöhen!
3. Belohnen Sie Ihr Pferd viel und ausgiebig!!!!
Und zwar nicht nur, wenn es etwas Besonderes geleistet hat, sondern auch für die kleinen Schritte, die zu den schwereren Lektionen führen. Dies wird die Motivation Ihres Pferdes erhalten! Es hat außerdem noch einen anderen tollen Effekt: Sie sind dabei selbst auch glücklich! Es ist für uns Reiter eine große Versuchung, immer nur das Falsche zu korrigieren und dabei zu vergessen das Positive zu loben. Das führt unwillkürlich zu einer negativen Atmosphäre. Lernen macht jedoch in einem positiven Klima viel mehr Spaß (und ist auch leichter!)!
4. Seien Sie konsequent
Das haben Sie natürlich schon mal gehört…..aber geben Sie es zu! Manchmal reiten Sie die letzte Parade vom Trab zum Schritt in der Trainingseinheit nicht so, wie es sein soll (sondern das Pferd imitiert ein Llama und weil es das Ende der Einheit ist, ignorieren Sie es und geben die Zügel hin). Denken Sie jedoch daran: das Pferd verbessert sich in dem, was es übt....
Wenn man ihm erlaubt, bestimmte Dinge falsch auszuführen, dann perfektioniert er die falsche Ausführung.
5. Entspannung
Das ist so wichtig! Ein Pferd kann nur dann gut lernen, wenn sein Gehirn in einem entspannten Zustand ist. Der Grad der Entspannung hängt mit der Haltung von Kopf und Hals zusammen. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass das Gehirn bei hoher Kopfhaltung Adrenalin produziert (für den Fall, dass das Pferd sich verteidigen oder weglaufen muss). Ist die Kopf- und Halshaltung tiefer, bei losgelassenem Körper, produziert das Gehirn Endorphine/Serotonin/Dopamin.
Hat das Pferd mehr Tragkraft in der Hinterhand entwickelt und bewegt sich mit losgelassener Oberlinie, wird es auch dann noch entspannt bleiben, wenn es sich aus der gesenkten Hinterhand aufrichtet. Richtet man es auf bevor die Hinterbeine die notwendige Kraft dazu besitzen, wird man nur Verspannung erzeugen.
Sollte man stattdessen vielleicht das Pferd mit langem Hals auseinanderfallen lassen? Nein, es genügt, wenn man das Pferd einlädt, den Hals mit entspanntem Unterkiefer ein wenig zu verlängern. Dann spürt man, wie sich der Pferderücken unter dem Sitz anhebt und das Pferd längere Tritte macht. Arbeiten Sie an der Tragfähigkeit, indem Sie in einem langsamen Tempo reiten und balancieren Sie Ihr Pferd aus. Hat das Pferd in der langsameren Gangart seine Balance gefunden, wird es auch in der Lage sein, im Gleichgewicht zu bleiben, wenn man etwas mehr vorwärts reitet.
6. Passen Sie auf Ihre Ellbogen auf!
Lassen Sie sich beim Reiten fotografieren oder filmen. Achten Sie bei den Aufnahmen auf Ihre Arme. Sind sie gerade oder angewinkelt? Sieht man Verspannungen in Ihren Armen? Steht ein Ellbogen weiter zurück als der andere? Zieht das Gebiß die Maulwinkel nach oben oder ist die Verbindung am Zügel leicht und weich? Eine weiche Verbindung beginnt mit einem losgelassenen Sitz, der die Bewegungen des Pferdes in sich aufnimmt. Wenn Ihre Lendenwirbelsäule die Schwingungen des Pferderückens absorbiert, können Sie Ihre Hände ruhig halten und Ihre Arme und Ellbogen entspannen. Ruhige Hände bedeuten jedoch nicht, dass sie starr an einem Ort stehen. Wir müssen Bewegungen des Pferdemaules und Halses mitmachen können, sodass stets eine fließende Verbindung von der Hinterhand zum Gebiss gewährleistet ist. Wenn Sie eine weiche Verbindung mit dem Pferdemaul haben möchten, brauchen Sie daher eine geschmeidige Lendenwirbelsäule, die die Bewegungen des Pferdes in sich aufnehmen kann. Dadurch sind Sie in der Lage, viel weicher mit Ihrem Pferd zu kommunizieren.
7. Verlangen Sie nichts von Ihrem Pferd in einer höheren Gangart, das es in einem langsamen Tempo noch nicht leisten kann. Bringen Sie das Pferd erst in einer niedrigeren Gangart ins Gleichgewicht und lassen Sie dann allmählich die Gänge größer werden, ohne dabei die Balance zu verlieren. Balletttänzer üben Ihre Choreographie zuerst in einem langsamen Tempo, damit das Gehirn die Abfolge der Bewegungen studieren und seine Balance finden kann. Sobald sie die Bewegungen im langsamen Tempo beherrschen, üben Sie nach und nach auch in höheren Geschwindigkeiten. Das ist jedoch unabhängig vom Schenkelgehorsam des Pferdes. Man erwartet immer eine prompte Reaktion des Pferdes auf eine Schenkelhilfe, wobei man darauf achten muss, dass man es nicht mit einem oder beiden Armen aus Versehen blockiert.
8. Durch das Training wächst die Muskulatur
Wenn Sie Ihr Pferd in einer korrekten Haltung trainieren, (losgelassene Oberlinie, aufgewölbter Rücken und untertretende Hinterbeine), wird die Muskulatur der Oberlinie wachsen. Das kann sehr schnell geschehen, vor allem im Bereich des Widerrists. Deshalb empfehle ich meinen neuen Schülern immer in der ersten Reitstunde, dass sie sich von ihrem Sattler 4-6 Wochen nach der Stunde einen Termin geben lassen sollen, da der Sattel in einigen Wochen zu klein sein wird, wenn sie so weiterarbeiten, wie im Unterricht mit mir. Das erste Anzeichen dafür ist, dass das Pferd erst einige Wochen sehr gut geht und sich losläßt und dann plötzlich anfängt zu protestieren. Pferde bemühen sich oft selbst dann noch, wenn der Körper schon schmerzt, und sie kompensieren, bis es einfach nicht mehr geht. Dann ist es an uns Reitern herauszufinden, warum sich das Pferd anders benimmt. Ich habe oft 4-6 Wochen nach er ersten Reitstunde eine Nachricht bekommen, dass das Pferd erst so gut ging - und plötzlich ging nichts mehr. Der Grund lag immer darin, dass der Sattel zu klein geworden war, weil die Muskeln sich so schnell entwickelt hatten.
Korrektes Training entwickelt die Muskulatur an den richtigen Stellen und macht das Pferd runder. Umgekehrt entwickelt falsches Training die falsche Muskulatur. An welchen Stellen entwickelt sich die Muskulatur Ihres Pferdes? Wird sein Unterhals immer größer? Dann ist es an der Zeit, das Training unter die Lupe zu nehmen und Veränderungen vorzunehmen. Wenn der Unterhals wächst, dann liegt es daran, dass das Pferd sich in einer falschen Haltung bewegt. Gottseidank läßt sich das relativ leicht ändern (es sei denn, die Ursache liegt im Exterieur, was aber meistens nicht der Fall ist). Kontrollieren Sie, ob sich die Muskulatur Ihres Pferdes richtig entwickelt und rufen Sie Ihren Sattler rechtzeitig an, wenn der Sattel zu klein wird.
9. Man muss akzeptieren, dass das Pferd manchmal Muskelkater hat
Wie Sie vielleicht aus eigener Erfahrung wissen, wenn Sie selbst Sport treiben: Muskelkater läßt sich nicht vermeiden, wenn man richtig trainiert. An Tagen, an denen das Pferd Muskelkater hat, ist es vielleicht schlecht gelaunt. Dinge, die sonst leicht gelingen sind plötzlich unmöglich, und dann sitzt vielleicht das kleine Teufelchen auf Ihrer Schulter und sagt: “Stell Dich nicht so an, Pferd! Gestern hast Du das gut gemacht. So schlimm kann es nicht sein.” In Wahrheit haben Sie aber während des guten Rittes wahrscheinlich die Muskeln sehr effektiv ansprechen können, sodass sie heute Muskelkater haben! Und wenn die Muskeln schmerzen, muss man ihnen Zeit zur Erholung lassen und nur leichte Arbeit vom Pferd verlangen, oder nur ein wenig longieren, sodass es sich loslassen kann und die Blutzirkulation angeregt wird, damit die Milchsäure aus den Muskeln abgebaut wird.
Vergessen Sie nicht: Ausruhen ist auch Training! Die Muskulatur wächst während der Ruhephasen.
Tipp Nummer 9 ist also: Lernen Sie, wie der Körper biomechanisch funktioniert und wie man Arbeitsphasen und Ruhephasen gut mit einander ausbalanciert.
10. Tipp Nummer 10 ist… Spaß haben!
Genießen Sie die Beziehung mit Ihrem Pferd, den Prozeß des Zusammenwachsens, des Tanzens mit einander! Nehmen Sie die Gedanken und Gefühle Ihres Pferdes ernst! Respektieren Sie ihn, lernen Sie, wie Sie ihn fördern können, ohne ihm körperlichen oder seelischen Schaden zuzufügen. Es ist wirklich etwas ganz Besonderes, dass das Pferd das menschliche Tier auf seinem Rücken sitzen und alle möglichen Anforderungen stellen läßt - immer in der Erwartung, dass das Pferd auch alles versteht, was wir von ihm verlangen! Wenn Sie Ihr Training effektiver gestalten möchten, lernen Sie Ihr Pferd auch und vor allem psychologisch kennen! Denn es wird nur dann bestimmte Dinge körperlich ausführen können, wenn es Sie auch verstehen kann. Sonst sind es nur forcierte Kunststückchen ohne Ausdruck, die nur Ihnen nützen würden. Lassen Sie es uns lieber so anfangen, dass das Training dem Pferd UND Ihnen nützt! Das Pferd wird dann einen kräftigen, schlankeren Körper, sowie ein entspannteres Gemüt besitzen und Sie können alle Ihre Ziele erreichen, ohne dass sich das Pferd verletzt. Denn wenn Sie ein Pferd im körperlichen und seelischen Gleichgewicht reiten, ist die Verletzungsgefahr für seine Sehnen, seinen Rücken oder Hals extrem gering.
- Noor Tanger
Noor Tanger ist eine holländische Berufsreiterin und bildet zusammen mit ihrem Partner, Patrick Molenaar, Pferde und Reiter aus. Noor ist seit 2012 Ritter Schülerin und sie ist eine Assistentin im Artistic Dressage Online Kursprogramm.
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