In einem unserer Kurse war eine Teilnehmerin kürzlich etwas entmutigt, weil sie das Gefühl hatte, dass sie und ihr Pferd schlechter geworden waren. Wir sind wahrscheinlich alle mit diesem Gefühl vertraut. Aber es ist nicht immer zutreffend. Manchmal merken wir gar nicht, wie viel wir schon gelernt haben und wie sehr wir uns verbessert haben. Aber unsere Ansprüche und unsere Wahrnehmung sind schneller gewachsen als unser Können und daher haben wir das Gefühl, dass wir schlechter reiten als je, obwohl wir in Wahrheit besser reiten als vorher, nur nicht so gut, wie wir gerne möchten.
Hier sind einige meiner Gedanken zu diesem Thema:
Diese Problematik hat mehrere verschiedene Aspekte. In meiner eigenen Erfahrung hat jeder neue Lernzyklus immer damit begonnen, dass ich auf Probleme aufmerksam wurde, die schon immer da waren, die mir aber bislang nicht bewusst waren.
Als meine Wahrnehmung und mein theoretisches Wissen so weit angewachsen waren, dass sie mir auffielen, war ich sehr unglücklich und fühlte mich wie der schlechteste Reiter der Welt.
Dann habe ich mich an die Arbeit gemacht, um diese Probleme zu überwinden. Dazu musste ich oft meinen Sitz von Grund auf überholen. Der neue Sitz fühlte sich anfangs schrecklich an und ich hatte das Gefühl, dass ich immer schlechter wurde. Aber sobald ich mich an die neue Art zu sitzen und zu reiten gewohnt hatte, konnte ich ein höheres Niveau erreichen als vorher. Eine gewisse zeitlang hielten meine Wahrnehmung und mein praktisches Können einander die Waage und das Leben war gut.
Dann erweiterten sich meine Wahrnehmung und mein Verständnis wieder und der Kreislauf begann von neuem.
Nach einer Reihe von Jahren wurde mir klar, dass diese Phasen, in denen ich das Gefühl hatte, dass ich gar nicht reiten kann, nur bedeuten, dass ich etwas Neues lernen würde und kurz vor einem Durchbruch stand. Daraufhin fühlte ich mich dann nicht mehr so schlecht. Mir wurde auch klar, dass jede Version meines Sitzes und meiner Hilfen mich nur bis zu einem bestimmten Niveau bringen konnten. Um weiter aufzusteigen, musste ich mich komplett auseinander nehmen, wie einen Motor, der nicht mehr richtig läuft, jedes einzelne Teil untersuchen, die kaputten Teile, die nicht mehr gut funktionieren, aussortieren und durch neue ersetzen. Dann musste ich das Ganze wieder zusammensetzen und versuchen, mich an das neue Gefühl, die neue Balance und die neuen Muskeln, die ich benützen musste, zu gewöhnen. Da die neue Muskelkoordination sich anfangs fremd anfühlt, kann es sein, dass man eine zeitlang sogar tatsächlich etwas schlechter reitet, bis die neue Koordination zur Gewohnheit wird und sich normal anfühlt.
Ein weiterer Aspekt ist, dass Fortschritt süchtig macht. Wir gewöhnen uns sehr schnell daran. Wir setzen es voraus und gehen unbewusst davon aus, dass der Fortschritt linear verläuft. In Wahrheit verläuft der Fortschritt jedoch stoßweise. Es gibt Wachstumsphasen und Plateauphasen. Plateaus können sich so anfühlen, als ob man schlechter wird. Es ist ein wenig wie wenn beim Hausbau die ausgehobene Erde auf einen großen Haufen geschüttet wird. Der Haufen wächst sehr schnell an und fängt dann an sich zu setzen, wodurch er kleiner wird, weil die Erde sich verdichtet. Beim Lernen ist es ähnlich. Man erzielt ab und zu einen großen Durchbruch und dann muss man das neu erworbene Können und Wissen festigen. Diese Konsolidierungs- und Plateauphasen können äußerst frustrierend sein, weil man das Gefühl hat, festzustecken oder sogar schlechter zu werden. So erging es jedenfalls mir selbst. Die Plateauphasen sind jedoch sehr wichtig. Sie sind nicht glamurös oder spektakulär. Sie sind eher wie das “Holz hacken und Wasser tragen” aus der Zen Perspektive: das Üben der Basics, das Verfeinern der elementaren Fähigkeiten. Im Laufe der Zeit wird diese schlichte Grundlagenarbeit jedoch Serienwechsel und Zickzacktraversalen oder Piaffe und Passage ermöglichen. Manchmal sieht man den Fortschritt, den man gemacht hat, erst nachdem man die einfachen Mosaikstückchen zu etwas Großem und prestigeträchtigen zusammengebaut hat.
Es kann sehr heilsam sein, ab und zu zurückzuschauen um zu sehen, wie weit man schon gekommen ist, da man dann feststellt, wie weit man schon fortgeschritten ist, ohne es zu merken. weil man die Fortschritte immer als selbstverständlich hingenommen hatte.
Ein weiterer Gesichtspunkt ist, dass unsere Übungen eine diagnostische Seite und eine therapeutische Seite haben. Es ist durchaus möglich (und ganz normal), dass unsere Übungen Probleme an die Oberfläche bringen, die schon lange da waren, aber die in unserer bisherigen Reiterei nicht so in Erscheinung getreten sind: Wenn man bestimmte Fragen nicht stellt, bemerkt man nicht, dass das Pferd die Antworten darauf nicht kennt. Andererseits lernt es dann auch nicht die richtigen Antworten.
Deshalb fühlen sich die ersten Versuche einer neuen Übung oft nicht besonders gut an und sie sehen oft nicht besonders gut aus, aber sie zeigen wichtige Bildungslücken. Sie geben uns etwas zu tun.
Ich habe manchmal im Scherz gesagt, dass es keinen Grund zum Reiten gäbe, wenn Pferd und Reiter alles perfekt ausführen könnten, weil es dann nur schlechter werden könnte. So lange es etwas gibt, das noch nicht perfekt ist, haben wir eine Aufgabe und wir können uns und unser Pferd verbessern.
Eric Clapton sagte vor Jahren etwas ganz Ähnliches in einem Interview. Er sagte, dass es für ihn keinen Grund gäbe, weiter Gitarre zu spielen, wenn er alles perfekt spielen könnte. Aber so lange er das Gefühlt hat, dass er noch mehr lernen und sich verbessern kann, würde er weiter spielen.
Durch die Wiederholungen der Übungen haben Pferd und Reiter die Gelegenheit, über die Übung, die Balance, die Technik usw. nachzudenken, sodass sie mit der Zeit immer besser gelingt.