Emotionen und Reiten

 

Gast Beitrag von unserer langjährigen Schülerin, Dr. Marcella Becker. Marcella ist Assistentin in unseren Online Kursen, bildet Pferde und Reiter aus und gibt Lehrgänge in Deutschland und den USA.

Emotionen und Reiten

Für jeden der seine Zeit mit Pferden verbringt ist dies eine tief emotionale Angelegenheit. Sicher ist es die Liebe zu den Pferden, die uns alle antreibt. Aber gerade wenn man sich ernsthaft mit der Reiterei auseinandersetzt, ist das Ganze auch immer wieder mal mit relativ viel Frustration verbunden. Es gibt keinen Reiter der nicht schon (und das immer wieder) an die Grenzen dessen gekommen ist, was er meinte, leisten zu können.


Einen geschmeidigen Sitz zu entwickeln, sein Pferd durchlässig und geradegerichtet zu bekommen, sich ein tieferes Verständnis von Lektionen zu erarbeiten, sich mit der Persönlichkeit und dem Talent oder auch den Problemen seines Pferdes und seiner selbst auseinanderzusetzen – all dies konfrontiert den Lernenden mit vielen Herausforderungen und der Erfahrung des vermeintlichen Scheiterns.  


Hier gilt es gute Strategien zu entwickeln, so dass man sich die Freude und Leichtigkeit beim Reiten erhält.


Fast Jedem ist es schon passiert, dass er je nach Persönlichkeit und Temperament seine Emotionen  nicht gut kontrollieren konnte.  


Dies ist menschlich. Da das Reiten den ganzen Menschen in all seinen Facetten der Persönlichkeit und der Körperlichkeit fordert, kann man solche Emotionen nicht ausschließen.

Warum ist man überhaupt frustriert, ungeduldig, verärgert, enttäuscht, etc. etc.?
Hier können Faktoren innerhalb aber auch außerhalb der Reiterei eine Rolle spielen.

 

Faktoren, die direkt mit dem Reiten zu tun haben und mögliche Strategien


Die meisten Reiter, die Reiten als Freizeitbeschäftigung betreiben sind in der Situation, dass sie ein Pferd haben, mit dem sie ‚gemeinsam lernen‘. Dies führt dazu, dass völlig normale Trainingsprobleme zunächst unlösbar erscheinen können. Dazu kommt die Sorge, dass man seinem Pferd vielleicht nicht gerecht wird.

  • ‚Ich möchte keine Fehler machen‘ als Strategie ist zum Scheitern verurteilt. Lernen heißt Fehler machen!
  • Um den Lernprozess aktiv zu gestalten sollte man sich weiterbilden in Theorie und Praxis, letzteres mit Hilfe eines erfahrenen Ausbilders.

Reiten erfordert das Meistern von komplexen Bewegungsabläufen und hat zudem noch eine starke psychologische Komponente Immerhin wollen wir eine intensive Kommunikation zwischen zwei verschiedenen Spezies aufbauen.  

  • Hier hilft es zu sehen, ob man ‚das Problem‘ welches man gerade bewältigen möchte, in mehrere kleine Lernschritte zerlegen und somit vereinfachen kann.
  • Verbissenheit ist keine gute Voraussetzung für Lernprozesse, da man sich dadurch nur selbst blockiert.
  • Durch kleine Rückblicke auf die Entwicklung der eigenen Reiterei werden die Fortschritte sichtbar.
  • Sitzprobleme können durch gezielte Übungen auch zuhause verbessert werden.

Schwierige Arbeitsbedingungen (Mangel an Reitplatz mit wetterfestem Belag oder Halle im Winter, schlechter Boden, Halle immer sehr voll) machen unbeschwertes Reiten manchmal schwierig, entweder weil man nicht regelmäßig arbeiten kann, oder eben nur unter Bedingungen, welche Energie und Fokus rauben.

‚Was kann ich ändern, bzw. womit muss ich mich abfinden?‘ – hier eine klare Entscheidung zu treffen spart Nerven.

  • Wenn das nötige Geld für Reitplatz oder Hallenzugang (da das für viele eine Anfahrt mit Hänger bedeutet)fehlt, muss man sich zunächst damit abfinden. Aber man kann auch sehen, ob man eventuell für die Zukunft eine kreative Idee entwickeln kann.
  • Bei einer sehr vollen Halle kann man vielleicht an seiner Zeitplanung ansetzen (innerhalb der Grenzen die durch das Arbeits- und Familienleben oft vorgegeben sind), so dass man – mit etwas Glück – auch mal Zeiten erwischt wo es nicht so voll ist.
  • Schlechte Reitböden in Hallen oder auf Plätzen (bis hin zu Sturzgefahr) sind oft eine knifflige Sache wenn die Stallbesitzer selbst keine Reiter sind und nicht einsehen, dass hier Investitionsbedarf besteht. Hier heißt es oft, sich abfinden oder umziehen.
  • Je nach Gelände kann man auch draußen etwas dressurmäßig arbeiten.  
  • Oft hilft es auch, sich klarzumachen, was man alles an guten Ressourcen zur Verfügung hat. Diese Wertschätzung ermöglicht es entspannter an das Reiten heranzugehen und mit den Nachteilen emotions-neutraler umzugehen.  


Faktoren außerhalb der Reiterei – Strategien zur Bewältigung

Herausfordernde Lebensphasen


Auch wenn man dies zu vermeiden sucht, aber: stressvolle Lebensphasen können einem ein entspanntes Reiten sehr schwer machen. Stress äußert sich in Verspannungen im Körper was wiederum die Geschmeidigkeit des Sitzes beeinträchtigt und damit die effektive Kommunikation mit dem Pferd.

  • Gutes allgemeines Stressmanagement (ohne das hier genauer auszuführen) kann etwas mehr Freiraum zum Reiten schaffen.
  • Alle Ansätze um Sitz-Thematiken ohne Pferd anzugehen und somit Verspannungen zu lösen ist empfehlenswert.
  • Es ist ein hilfreiches Ritual auf dem Weg zum Stall sich klar vom restlichen Leben zu distanzieren, so dass der Stall eine Oase darstellt und man das Reiten nutzen kann um Kraft zu tanken.

 

Beziehungskiste Reiter-Pferd


Probleme beim Reiten können Gefühle der Hilflosigkeit, Machtlosigkeit und Kontrollverlust triggern, mit denen man in anderen Lebenssituationen schon konfrontiert ist oder war. Da Reiten auch immer Beziehung zum Pferd bedeutet, können - gerade mit dem eigenen Pferd – nicht erwünschte Beziehungsdynamiken mit ins Spiel kommen.  

  • Oft hilft es in solchen Phasen das eigene Pferd wie ein fremdes zu reiten – für die nötige Distanz.  
  • Pferde reagieren nur auf uns, ihre Umwelt und tägliche eigene Befindlichkeiten. Sie sind ehrlich. Darauf kann man immer vertrauen.


Atmosphärische Störungen am Stall

Wie in allen Lebensbereichen gibt es auch in Ställen Cliquenbildung, Neid, verschiedene Reitweisen werden gegeneinander positioniert, persönliche Animositäten, und so weiter. Dies alles kann die Atmosphäre vor Ort belasten.  

  • Kühlen Kopf bewahren und keine Konfrontation eingehen ist hier immer eine gute Devise.
  • Es hilft sich klarzumachen, dass man nur für sein eigenes Tun verantwortlich ist, nicht aber für die Aktionen anderer.
  • Mitmenschen, die einem konfrontativ begegnen stecken vielleicht gerade in einer schwierigen Lebensphase. Somit hat ihr Auftreten nicht zwingend mit einem anderen zu tun.
  • Abwertende Kommentare über die Reiterei anderer zeugen von Unerfahrenheit.
  • Für Streitereien zwischen verschiedenen Schulen und Methoden gilt, dass man immer mit Respekt miteinander umgehen sollte.


Trotz aller Strategien gibt es auch Tage an denen es die klügere Entscheidung sein kann,  nicht zu reiten, und dem Pferd entweder eine Pause zu geben, oder sich mit ihm anderweitig zu beschäftigen.


Wenn man sich entschieden hat zu reiten, und merkt, dass man keine Harmonie miteinander findet, darf man auch eine Arbeitseinheit abbrechen!


Und es hilft sich immer wieder klarzumachen dass es nicht produktiv ist, sich Irrtümer und Fehlentscheidungen nachzutragen.

Letztendlich sind in Bezug auf diese Thematik die Pferde unsere besten Lehrer. Sie leben im Jetzt,  sind im Augenblick verankert und denken nicht über eine misslungene Übung von gestern nach. Wir können lernen es wie sie zu tun. Die Menschensprache nennt das dann Achtsamkeit und ‚im Moment bleiben‘.

Also: reiten, reiten, reiten!

Jeden Tag neu, mit Aufmerksamkeit, Achtsamkeit, Freude, Wertschätzung und der neugierigen Frage: ‚Na, was geht denn heute?‘.

 

Email: marcella.Becker@t-online.de
FB : Marcella Becker Dressur 
Webseite:  marcella-becker-dressur.de