Wir haben wahrscheinlich alle schon Tage erlebt, an denen wir das Gefühl hatten, dass wir komplett vergessen haben, wie man reitet und an denen wir nichts richtig machen konnten. Ich vermute, dass wir nie ganz sicher vor solchen Erfahrungen sind, so lange wir reiten. Zum Glück werden sie jedoch immer seltener, je mehr wir lernen. - Oder vielleicht nehmen wir schlechte Ritte auch einfach nicht mehr so persönlich, weil wir wissen, dass bald auch wieder ein guter Ritt kommen wird. Genau wie wir wissen, dass nach einem guten Ritt auch wieder schwierigere auf uns warten.
Was fällt uns ein, ein Urteil zu fällen??!
Als Alois Podhajsky Direktor der Spanischen Reitschule in Wien war, bemerkte er manchmal, dass ein Zuschauer ihn bei der Morgenarbeit kritisch beäugte. Er schickte dann seinen Pferdepfleger auf die Tribüne und ließ dem Zuschauer die Nachricht übermitteln: “Dem Herrn Oberst ist es nicht entgangen, dass Sie mit seiner Arbeit nicht einverstanden sind. Er lädt Sie daher ein, ihm sein Pferd vorzureiten, da er sehr gerne von Ihnen lernen möchte, wie er es besser machen kann.” Nicht von ungefähr war niemand mutig (oder unvorsichtig) genug, den Köder zu schlucken und zu sagen: “Jetzt werde ich ihm aber mal zeigen wie’s richtig gemacht wird!” Das ist eine sehr schlaue und effektive Methode, um die Bandenexperten zum schweigen zu bringen, die glauben, dass sie so viel besser sind als die Reiter in der Bahn, die ihr Bestes tun, um ihr Pferd gut auszubilden.
Widerstände verstehen
Als ich im Erwachsenenalter wieder anfing zu reiten, sagte mein erstes Pferd laut und deutlich “Nein”. Er machte zwar die Dinge ganz vergnügt mit, die ihm Spaß machten, aber mein Ziel - Dressurreiten zu lernen - rief bei ihm eine wahre Welle der Empörung von epischen Dimensionen hervor. Das fühlte sich natürlich schrecklich an. Ich dachte, dass er gut behandelt wurde, und die Bitten, die ich an ihn richtete, waren nicht sehr schwierig. Warum also verbrachte er seine Zeit damit zu versuchen, mir das Leben schwer zu machen? Warum sagte er immer wieder “nein”?
Wir wissen nicht, was wir nicht wissen
Wenn Sie allein arbeiten, können Sie bestimmte Fragestellungen gemeinsam mit Ihrem Pferd erforschen und sich von Ihrem Pferd zeigen lassen, wie es geritten werden will. Jedes Pferd ist anders und die Präferenzen der Pferde verändern sich im Laufe der Zeit, wenn sie sich weiter entwickeln und in höhere Klassen aufsteigen. Daher sollte man diese Fragestellungen immer wieder neu mit dem Pferd untersuchen, damit man sich an die veränderten Bedürfnisse des Pferdes anpasst.
Ansichten der Alten Meister zur Geraderichtung
Die alten Meister betrachteten die natürliche Schiefe des Pferdes als größtes Hindernis für die Entwicklung von Gleichgewicht, Geschmeidigkeit, Versammlung, Schwung und “Gehorsam” (d.h. eine positive, arbeitswillige Einstellung gegenüber den Hilfen). Positiv formuliert bildet die Geraderichtung die Grundlage für Gleichgewicht, Geschmeidigkeit, Versammlung, Schwung und “Gehorsam”. Ohne Geraderichtung wird das Pferd in seiner Ausbildung nicht sehr weit kommen. Leider ist die Überwindung der Schiefe keine triviale Angelegenheit. Sie erfordert ständige Aufmerksamkeit, und wenn die Reiterin nicht jeden Tag an der Geraderichtung ihres Pferdes arbeitet, wird seine Schiefe allmählich wieder zunehmen. Das ist der Grund, warum der berühmte französische Reitmeister Jacques d’Auvergne (1729-1798) bezüglich der Schiefe des Pferdes sagte: “Der Reiter verbringt sein ganzes Leben damit, diesen Fehler durch die Vervollkommnung seiner Kunst zu beseitigen.”
Folgen der natürlichen Schiefe
In einem unserer Kurse fragte eine Teilnehmerin nach möglichen Strategien zur Bekämpfung der natürlichen Schiefe. Sie wollte wissen welche Übungen sie speziell auf der hohlen und der steifen Seite reiten sollte. Es gibt leider keine einfache, allgemein gültige Antwort auf diese Frage, da die Schiefe zu einem Ungleichgewicht auf mehreren verschiedenen Ebenen führt, wie beispielsweise…
Wozu Geraderichten?
Sie sind sicherlich alle vertraut mit dem Begriff der Geraderichtung als eines der Elemente der deutschen Skala der Ausbildung. Diejenigen, die in der französischen Tradition beheimatet sind, kennen sie als eine von Alexis L’Hotte’s drei Hauptprinzipien der Pferdeausbildung (Gelassen, Vorwärts, Gerade). Es ist Ihnen sicherlich auch das Gegenteil der Geraderichtung begegnet - die natürliche Schiefe - ein schwieriges und hartnäckiges Problem.